Prolog

So sitze ich nun an meinem Schreibtisch, den Stift in der Hand, während sich vor meinem Fenster im Garten große grüne Birken majestätisch im spätsommerlichen Wind wiegen und Edvard Griegs romantisches Klavierkonzert mit erhabenen Klängen verzaubert, beschreibe mit schwarzer Tinte weiße Seiten, wickle Stationen gelebten Lebens in silbergraues Geschenkpapier, möchte als Hauch einer Ahnung die Bedeutsamkeit höflicher Distanz, respektvoller Achtung und barmherziger Nachsicht wieder in Erinnerung rufen ...

 

... und dies in jener merkwürdigen neuartigen Zeit, in welcher wir leben, deren Kälte ich nicht mehr begreife, die im gelebten Alltag, im täglichen Umgang miteinander vielfach einem direkten und penetranten Wechsel von Anschuldigung und Rechtfertigung unterliegt, der jegliche höflich-gebildete Zurückhaltung, Menschlichkeit und Güte vermissen lässt, während die Achtung der Würde des einzelnen unveräußerlichen Intersubjektes (H. Burckhart/ I. Kant) gegenüber sich selbst und im Miteinander in Beruf, Freizeit und Partnerschaft verkannt wird oder nur theoretische Bedeutung erlangt und eine praktische Umsetzung nicht mehr gelingt.

 

Wir sind kalt geworden, und dicke Nebelschwaden haben sich um uns gelegt; auf beklemmende Weise erschweren sie das Atmen und verwehren die Sicht auf unsere Nächsten. Ideale des Menschlichen scheinen in der heutigen von Präzision und Effizienz geprägten schönen neuen Welt störend zu wirken und nur noch zum theoretischen Prinzip degradiert zu werden. Aber sollen sie nur deshalb aufgegeben werden, weil es gerade modern ist oder man sie nicht mehr für umsetzungsfähig hält?

 

So sitze ich an meinem Schreibtisch, den Stift in der Hand, während eine blass-gelbe Spätsommersonne ihre Strahlen durch mein Fenster hindurch scheinen lässt, skizziere Wort für Wort, Satz um Satz kleine Stücke einer Welt, wie ich sie mir wünsche, in der Menschen nicht „auf ein gewisses System schwören müssen“ (G.E. Lessing) und die ihnen entgegen gebrachte Wertschätzung nicht davon abhängig gemacht wird, welcher Status ihnen zu eigen ist, welcher Gruppe sie angehören oder wie perfekt sie sich äußerlich zu präsentieren wissen, in der sie sich weder im privaten noch im beruflichen Bereich anderen beweisen müssen, und Ignoranz und Ausgrenzung nun nicht mehr nur in theoretischen Ausführungen, sondern im praktischen Umgang einer respektvollen Anerkennung des unschätzbaren Wertes des einzelnen Individuums weicht ...

 

... und während mittlerweile Klänge des vierten Satzes der berühmten Rheinischen Symphonie von Robert Schumann mein Schreiben weiterhin akustisch untermalen, und sich im Garten große grüne Birken majestätisch im Sonnenschein wiegen, erstrahlt alles um mich herum, wenn auch nur für einen kurzen Moment, in goldenem Licht: "One golden glance of what sholud be..." (in: Roger Taylor, It´s a kind of magic), gewissermaßen als goldener Abglanz einer Ahnung dessen, was eigentlich möglich sein könnte.

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen.

Herzliche Grüße von Matthias Giesel

 

Hier können Sie sich die beiden in diesem Text genannten Musikstücke direkt anhören. Für ein schönes Klangerlebnis sind größerer Lautsprecher zu empfehlen:

 

1. Satz des Klavierkonzertes von Edvard Grieg

 

4. Satz der Rheinischen Symphonie von Robert Schumann